Der Frauenmörder Hans Peter Meyer

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Am 28. Februar 1857 wurde in Hamburg eine halb verweste Frauenleiche gefunden.

Dieser Tag war der erste des Jahres, der den nahenden Frühling erahnen ließ. Ein Knecht nutzte das schöne Wetter, um in einem kleinen, sumpfigen Moorgebiet an der Hamburger Außenalster Schilf zu sammeln. Beim Zusammenrechen der losen Halme verfing sich seine Harke auf einmal an einem Sack, den er zwischen den hohen Schilfrohren bis dahin gar nicht bemerkt hatte.
Auf den ersten Blick schien dieser Sack nur gammeliges Stroh zu enthalten, aber warum war er dann so schwer? Schließlich gab es hier ja nichts, an dem sich ein Sack verfangen könnte. Also müsste ein kräftiger Mann dieses Bündel doch eigentlich leicht mit einer Harke an sich heran ziehen können.
Durch diese Überlegungen neugierig geworden näherte sich der Knecht dem Sack. Und da sah er dann auf einmal zwischen dem Stroh 2 Füße aus dem Sack ragen. Zwar schon ziemlich verwest, aber doch ganz eindeutig menschliche Füße.
Schlagartig wurde dem Knecht auch klar: Der modrige Geruch, der ihm schon die ganze Zeit so unangenehm aufgefallen war, war nicht der typische Moorgeruch, dies war Leichengeruch. Entsetzt ließ der Schilfsammler seine Harke fallen und eilte fort, die Polizei über seinen Fund zu unterrichten.

seite 2 Noch am selben Abend wurde der Sack mit der Leiche aus dem Moor geborgen.
Schnell stand fest, dass es sich um eine Frauenleiche handelte. Der Grad der Verwesung, zusammen mit dem verrotteten Stroh im Sack, ließen darauf schließen, dass die Tote mindestens seit dem Spätherbst, wahrscheinlich 4 bis 5 Monate im Moor gelegen hatte.
Relativ groß für eine Frau musste die Tote gewesen sein. Aber dies war zunächst auch schon alles, man über die Leiche sagen konnte. Die Verwesung war schon viel zu weit fortgeschritten, als dass man noch irgendwelche besonderen Kennzeichen wie Narben oder Muttermale an ihrem Körper hätte feststellen können, geschweige denn dass man ihr Gesicht zu Lebzeiten auch nur noch annähernd hätte rekonstruieren können.
seite 3Und auch sonst gab es keine weiteren Identifizierungs-Möglichkeiten. Die Tote trug, als sie in den Sack gesteckt wurde, keinerlei Schmuck und an Bekleidung lediglich ein ganz normales, einfaches  Unterhemd.

So kam die Polizei in den ersten 14 Tagen nach dem Leichenfund mit ihren Ermittlungen nicht einen Schritt weiter. Es gab in Hamburg und Umgebung keine Vermisstenmeldung, die mit der Frauenleiche aus dem Moor in Verbindung gebracht werden konnte. Auch der Versuch, über die Herkunft des Sackes an weitere Anhaltspunkte zu kommen, scheiterte.
Doch dann meldete sich ein älterer Herr auf der Wache, der Schneider Fechser aus dem Bäckergang Nr. 8 in Hamburg. Zunächst war er sehr zögerlich und druckste herum, wirkliche Beweise hatte er ja auch nicht.
Aber am Vortag hatte Fechser Waren an einige seiner Kunden ausgeliefert und unterwegs in einem Lokal Pause gemacht. Dort lag eine Zeitung aus, in der ihm ein Artikel über den rätselhaften Leichenfund aufgefallen war. Und noch während er diesen Artikel gelesen hatte, seien ihm seine ehemaligen Nachbarn in den Sinn gekommen, und seitdem lasse ihn sein schrecklicher Verdacht nicht mehr los.
Im Bäckergang Nr. 8, in der Etage direkt über Fechser, wohnte nämlich genau bis zum Donnerstag, den 9. Oktober 1856 der Arbeiter Meyer, wegen seiner Herkunft aus Moorburg allgemein nur der Moorburger Meyer genannt. Ein übler Kerl sei er gewesen, ein Trinker und überaus aggressiv, der ging nie einem Streit aus dem Weg. Und zuletzt habe Meyer nicht mehr allein in der Wohnung gelebt, sondern in wilder Ehe mit einer gewissen Charlotte Runge. Einzig diese große, kräftige Frau habe es gewagt, Meyer Paroli zu bieten.
Eigentlich hätten die beiden ja optimal zueinander gepasst, der gleiche schlechte Charakter, die gleiche Art, dem Gegenüber den eigenen Willen auch mit Gewalt aufzwingen zu wollen. Auch seine Leidenschaft für Alkohol im Übermaß hätte sie schon bald mit ihm geteilt.

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Fast jeden Abend seien beide betrunken gewesen, dann kam es zu heftigen Streitereien zwischen ihnen, die oft in Handgreiflichkeiten bis hin zu regelrechten Prügeleien gipfelten.
Die ganze Nachbarschaft habe unter dem Lärm der beiden gelitten. Aber niemand wagte es, sich zu beschweren, zu groß war die Angst vor diesem Terrorpaar.

Auch am Abend des 9. Oktober 1856 habe es wieder einmal einen dieser üblichen heftigen Auseinandersetzungen in der Wohnung über Fechser gegeben. Aber dieses eine Mal sei es doch irgendwie ganz anders gewesen als sonst.

Spätestens bei Fechsers Schilderung, was an diesem Abend denn so anders war als gewohnt, wurden die ermittelnden Polizisten dann richtig hellhörig. Die Schreierei des Paares hatte nämlich diesmal abrupt geendet, die ganze Nacht über sei danach alles ruhig geblieben. Und am nächsten Morgen war die Wohnung dann komplett geräumt gewesen. Obwohl es doch am Vorabend noch keinerlei Anzeichen dafür gegeben hatte, dass Meyer und seine Freundin endlich ausziehen würden. Die beiden mussten also in der Nacht ihre Sachen gepackt haben, um in aller Herrgottsfrühe das Haus für immer zu verlassen – und das alles, entgegen jeder Gewohnheit der zwei, vollkommen leise.

Sowohl Peter Heinrich Meyer, wie der Moorburger Meyer mit richtigem Namen hieß, als auch Charlotte Runge waren der Hamburger Polizei schon vor dieser Anzeige des Schneiders Fechser hinlänglich bekannt.
Meyer, zum Zeitpunkt des Leichenfundes 38 Jahre alt, war immer wieder negativ aufgefallen, meist durch brutale Schlägereien im Alkoholrausch. Bereits als junger Erwachsener, noch in seiner Moorburger Zeit, geriet er wiederholt mit dem Gesetz in Konflikt. Nach Hamburg ging er, nachdem er in Moorburg eine längere Gefängnisstrafe verbüßt hatte. Verurteilt worden war er, weil er in sinnloser Gewalt mehreren Pferden den Schweif – bis tief ins lebende Gewebe hinein – abgeschnitten hatte.
seite 6Charlotte Runge stammte ursprünglich aus Elmshorn, war aber schon in jungen Jahren nach Hamburg gezogen, um hier als Dienstmädchen ihr Geld zu verdienen. Doch schon bald arbeitete sie statt dessen als Prostituierte. Zuletzt betätigte sie sich nur noch als Zuhälterin, ließ andere junge, unbedarfte Mädchen für sich anschaffen. Dass sie sich in diesem Milieu erfolgreich behaupten konnte zeigt wohl schon, dass sie Meyer in Sachen Gewaltbereitschaft und Brutalität ziemlich nahe gestanden haben muss.

Diese Vorgeschichten, zusammen mit der Aussage des alten Herrn Fechser, ließen er für die Polizei durchaus möglich erscheinen, dass es sich bei der Toten tatsächlich um Charlotte Runge handelte und bei Peter Heinrich Meyer um ihren Mörder. Doch zunächst blieb dies nur ein Verdacht . Zwar gab es keinerlei Anhaltspunkte, die dagegen sprachen, dass man es bei der halbverwesten Leiche mit den sterblichen Überresten der Charlotte Runge zu tun hatte. Aber es gab eben auch keinerlei Möglichkeit, dies zweifelsfrei zu beweisen. Und der tatverdächtige Meyer schien spurlos verschwunden zu sein.
Seit er seine Wohnung im Bäckergang aufgegeben hatte, war Meyer immer wieder umgezogen. Die Polizei konnte zwar einige dieser Unterkünfte ausfindig machen, aber überall war er nach kurzer Zeit wieder ausgezogen, ohne eine neue Adresse zu hinterlassen.
Auch im Milieu wusste anscheinend wirklich niemand, wo Meyer sich jetzt aufhielt. Jedenfalls fehlte – trotz eifriger Bemühungen der Polizei – längere Zeit der entscheidende Hinweis, um Meyer auf die Spur zu kommen.

So vergingen weitere 5 Monate, ohne dass der Fall der Leiche aus dem Moor endgültig geklärt werden konnte. Doch dann kam der Zufall der Polizei zur Hilfe:
Der einfache Streifenbeamte Ritterbusch schaute auf dem Rundgang durch seinen Bezirk spontan bei der Witwe Peper vorbei. Und bei diesem überraschenden Besuch traf er auch auf den neuen Untermieter der Frau – nämlich eben den gesuchten Peter Heinrich Meyer.
Ritterbusch bat Meyer, ihn auf das Stadthaus zu begleiten, er werde als Zeuge in einer für ihn selbst eher unbedeutenden Angelegenheit gesucht. Dieser machte keinerlei Schwierigkeiten, bereitwillig begleitete er den Polizisten auf das Amt.

Im Verhör kamen die ermittelnden Beamten ohne Umschweife zur Sache. Sie konfrontierten Meyer mit ihrem Verdacht, er habe Charlotte Runge vor 10 Monaten umgebracht und die Leiche anschließend im Moor versteckt.
Und erstaunlicherweise gab Meyer dies auch sofort zu. Freimütig erklärte er, er habe die Frau eines Abends im Bett erwürgt, die Leiche dann im Hemd in einen Sack gesteckt, um die Tote herum noch etwas Stroh, dass man nicht gleich auf den ersten Blick den Inhalt des Sackes erahnen konnte. Noch vor Sonnenaufgang habe er den Sack dann auf einen Leiterwagen gewuchtet und aus der Stadt hinaus bis ins Alstermoor gezogen, wo er die Leiche dann einfach weggeworfen hatte.

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Mit diesem Geständnis schien für Meyer die Sache erledigt zu sein. Er wollte das Polizeirevier allen Ernstes wieder verlassen, um in der nächsten Kneipe sein Bier zu trinken. Schließlich sei er zum Zeitpunkt der Tat ja vollkommen betrunken gewesen, und überhaupt, was sei denn schon dabei, eine solche „Weibsperson“ umzubringen?

Das weitere Schicksal des Peter Heinrich Meyer ist nicht überliefert. Aber da er sich erstens so vollkommen unbeeindruckt von seiner Tat zeigte, zweitens ja auch nicht zu betrunken war, die Leiche direkt nach dem Mord zu beseitigen –  und sicherheitshalber auch gleich selbst aus seiner Wohnung zu verschwinden – wird er wohl bestenfalls den Rest seines Lebens im Zuchthaus verbracht haben, wenn er nicht sogar am Galgen endete.


14. 11. 2004
Petra Hannebauer



Quelle: „Ausführlicher Bericht über die in der Alster bei Hamburg gefundene geheimnisvolle Leiche der Charlotte Runge aus Elmshorn, sowie die Entdeckung des Thäters Peter Heinrich Meyer“
Hamburg. Druck und Verlag von J. Kahlbrock Wwe.