Der falsche Friedrich Tile Kolup

Denkt man an Hochstapler in der Geschichte, so fallen einem spontan vielleicht der Hauptmann von Köpenick und die falschen Zarentöchter Anastasia ein. Aber wahrscheinlich gibt es seit Beginn der Menschheit Hochstapler, also Menschen, die mehr gelten wollen als sie objektiv sind und denen es dabei gelingt, sich so sehr in ihre selbstgewählte Rolle hineinzuversetzen, dass sie schließlich zuweilen selbst daran glauben, auf jeden Fall aber andere Menschen davon überzeugen können.
Die ersten Hochstapler in Deutschland, die dabei so viele Menschen erreichten, dass sie sogar Eingang in die Geschichtsschreibung fanden, waren die falschen Friedriche oder auch Pseudofriedriche genannt.

Kaiser Friedrich II


Friedrich II (1194 - 1250) war ab 1220 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, das sich in dieser Zeit von Norddeutschland bis zum Mittelmeer erstreckte. Wie kein Kaiser vor ihm setzte er sich dafür ein, Recht und Gesetz in seinem Reich zu festigen. Er verbürgte die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz und führte zu diesem Zweck eine zentralistisch geleitete Verwaltung ein. Diese starke Zentralmacht führte zu ständigen Kämpfen mit den mittelalterlichen territorialen Fürsten. Zudem wurden die letzten Jahre seiner Herrschaft bestimmt durch einen permanenten Machtkampf zwischen Kaiser und Papst. Nach Friedrichs Tod erbte sein Sohn Konrad IV sein Reich, doch dieser hatte keinen Rückhalt unter den deutschen Fürsten. Dies und die weiteren ständigen Angriffe des Papstes führte dazu, dass das römisch-deutsche Reich endgültig zerfiel, es begann eine Zeit der territorialen Zersplitterung.

Besonders das einfache Volk litt unter den nachfolgenden Wirren um die Herrschaft, dem Machtstreben der deutschen Fürsten ohne den hemmenden Ausgleich des Kaisers und der Willkür der verschiedenen Herrscher, vor allem auch im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation, die steuerliche Unsicherheit. Man wünschte sich das alte geeinte deutsche Reich zurück mit seiner starken Zentralgewalt, denn sie bedeutete soziale Gerechtigkeit und rechtliche Sicherheit. Kurzum: man sehnte sich danach, Kaiser Friedrich II möge wiederkehren und die alte Ordnung wiederherstellen.

So kam schnell die Legende auf, Kaiser Friedrich sei noch am Leben, er befände sich auf einem Büßergang, einem Kreuzzug oder habe sich in einem fernen Land vor der Verfolgung des Papstes in Sicherheit gebracht. Andere wiederum glaubten, der Kaiser sei zwar verstorben, werde aber bald auferstehen, seine Widersacher "in die Knie zwingen" und für Deutschland eine neue Periode des Wohlstands und des Friedens bringen.

Wen wundert es, dass bald einige Betrüger diese Stimmung für sich zu nutzen suchten, indem sie als Friedrich II auftraten. Die Geschichte dieser Zeit nennt einige dieser auch Pseudofriedriche.

Der erfolgreichste und daher auch bekannteste von ihnen war Tile Kolup, der zunächst im Jahre 1284 in Köln auftauchte und zunächst nur im kleinen Kreis, später aber in aller Öffentlichkeit behauptete, er sei der inzwischen 90-jährige Kaiser Friedrich II. Vor allem die gebildeteren Bürger konnte er mit seiner Geschichte allerdings nicht überzeugen und er landete schließlich im Gefängnis. Doch blieb er auch hier dermaßen beharrlich bei seiner Behauptung, der alte Kaiser zu sein, dass man ihn letztendlich nicht für einen Betrüger, sondern für einen Irrsinnigen hielt. Den damaligen Gepflogenheiten entsprechend stellte man ihn zum Hohn und Spott der Massen auf dem Marktplatz öffentlich zur Schau mit einer lächerlichen Krone auf dem Kopf und jagte ihn anschließend aus der Stadt.

Tile Kolup

Daraufhin begab er sich, immer noch im Jahr 1284, rheinabwärts nach Neuss, wo er erneut als Friedrich II auftrat. Doch anders als in Köln gelang er ihm hier, eine wachsende Schar von Gutgläubigen in seinen Bann zu ziehen und schließlich bot man ihm sogar offiziell als rechtmäßigem Kaiser in Neuss Quartier. Auch finanzielle Zuwendungen flossen ihm reichlich zu, und so konnte er sich in der folgenden Zeit mit einem beeindruckenden Hofstaat umgeben inklusive Kanzler, Hofmarschall, Kämmerer, Dienern und Leibwache. Von seiner Kanzlei aus korrespondierte er mit verschiedenen deutschen Fürsten, natürlich versah er seine Briefe dabei mit einem authentisch wirkendem kaiserlichen Siegel. Auch die übrigen Formalien und Formulierungen in seinen Briefen müssen wohl authentisch gewirkt haben, denn etliche dieser Fürsten erkannten ihn in der Folgezeit ebenfalls als den rechtmäßigen Kaiser an .

In dieses Bild vom souverän auftretenden Kaiser passt es durchaus, dass er sich als höchster Richter aufspielte und in dieser Funktion Ermahnungen an seine "Untergebenen" versandte.

Seine diesbezüglichen Korrespondenzen gipfelten in einem Brief an Rudolf von Habsburg, immerhin Patensohn des echten Friedrich II und 1273 zum rechtmäßigen deutschen König gewählt, in dem er diesen aufforderte, sich von ihm seine Krone und Königswürde bestätigen zu lassen oder aber diese niederzulegen.

Schon vorher war er der Kirche gegenüber zu weit gegangen, als er in kaiserlicher Machtvollkommenheit der Äbtissin Bertha von Essen verschiedene im Jahre 1282 erloschene Privilegien erneuert hatte. Damit erzürnte den Erzbischof Siegfried von Köln so sehr, dass dieser im Jahre 1285 mit bewaffneter Streitmacht vor die Tore von Neuss zog, um die Auslieferung des angeblichen Kaisers zu fordern. Dies wurde von den Neussern zwar abgelehnt, aber Kolup scheint sich daraufhin in den Toren der Stadt nicht mehr ganz sicher gefühlt zu haben, jedenfalls begab er sich mit seinem Hofstaat kurze Zeit später nach Wetzlar. Auch hier wurde er freundlich aufgenommen.

Die Wahl von Wetzlar als neue Residenzstadt schien dabei ein äußerst geschickter Schachzug zu sein, hatte sich die Stadt doch am 9.5. 1285 mit Frankfurt, Friedberg und einigen anderen kleineren mittelhessischen Städten zu einem Bund gegen König Rudolf von Habsburg zusammengeschlossen. Grund für diese Rebellion gegen den König war ein Streit um die zu entrichtenden Steuern.

Offensichtlich befürchtete König Rudolf einiges Ungemach durch die Verlegung der Tätigkeiten des angeblichen Kaisers Friedrich nach Wetzlar, jedenfalls zog er in den ersten Tagen des Juli 1285 mit einem Heeresgefolge vor die Tore der Stadt und verlangte seine Auslieferung. Und nun erwies sich der zunächst geschickte Schachzug als "Schuss nach hinten", der angebliche Friedrich II wurde zum Spielball zwischen König und den Fürsten und Bürgern des mittelhessischen Bundes. Der König bot eine Einigung im Steuerstreit und bekam im Gegenzug, wie von ihm gefordert, den angeblichen Kaiser ausgeliefert.

Wiederum den Gepflogenheiten der damaligen Zeit entsprechend ließ Rudolf ihn foltern und erhielt schließlich das Geständnis, dass der vorgebliche Friedrich II in Wirklichkeit ein einfacher Mann namens Tile Kolup sei. Daraufhin wurde er als Ketzer und Zauberer zum Tode verurteilt, er starb am 7. Juli 1285 vor der Toren der Stadt Wetzlar auf dem Scheiterhaufen. In seinen letzten Worten wandte er sich angeblich an seine Anhänger und forderte sie auf, sich nach Frankfurt zu begeben, dort würde man sich schon bald wiedersehen.

Und tatsächlich tauchte kurze Zeit später in Frankfurt ein neuer falscher Friedrich auf, der behauptete, aus der Asche des in Wetzlar Hingerichteten am dritten Tage wieder auferstanden zu sein. Im Gegensatz zu Tile Kolup suchte er sich aber keine feste Residenzstadt aus, sondern durchzog in der folgenden Zeit verschiedenste Städte und Dörfer, immer mit seiner Geschichte, er sei der wieder auferstandene Friedrich II. In Gent wurde er zum ersten Mal gefangen genommen und ins Gefängnis gesteckt, nach seiner Freilassung zog er weiter nach Utrecht. Als er auch hier sein falsches Spiel fortführen wollte, wurde er erneut ergriffen, und diesmal endete er am Galgen.

Im Jahr 1286 trat auch in Lübeck ein alter Mann auf, der glaubhaft zu machen versuchte, er sei der noch lebende Kaiser Friedrich II. Aber anders als seine Vorgänger wurde er schnell enttarnt, denn die Stadt Lübeck erhielt einst vom echten Friedrich II ihre Reichfreiheit, und einige der Ratsherren kannten den alten Kaiser von diesen Feierlichkeiten noch persönlich. Lübeck war also wohl ein denkbar ungünstiges Pflaster für einen falschen Friedrich. Es gibt Berichte, wonach der Alte fliehen konnte, aber wahrscheinlicher sind wohl andere zeitgenössische Berichte: "Man gab ihm einen Sack zum Sarge und den Fluss zum Kirchhofe", d.h. man steckte den Betrüger kurzerhand in einen Sack und versenkte ihn im Fluss.

Noch im Jahr 1295 - Friedrich II war nun immerhin schon 45 Jahre tot und wäre andernfalls inzwischen stolze 101 Jahre alt - soll ein Mann als Kaiser Friedrich durch Deutschland gezogen sein und auch noch Anhänger gefunden haben. Er wurde schließlich in Esslingen gefangen genommen. Wie Tile Kolup wurde er der Ketzerei überführt und endete auf dem Scheiterhaufen.


Kaiser Friedrich II

Der echte Friedrich II war in seinem Leben dreimal verheiratet, zumindest die zweite und dritte Ehe waren dabei wohl überwiegend politisch motiviert. Neben diesen Ehen unterhielt er zahlreiche Affären, aus denen auch einige uneheliche Söhne und Töchter hervorgegangen waren. Immer wieder gab es Vermutungen, dass Tile Kolup in Wirklichkeit einer dieser unehelichen Söhne des Friedrich II gewesen sei. Dies ist aber eher unwahrscheinlich, denn Kaiser Friedrich hat sich um die Erziehung seiner unehelichen Kinder genauso gekümmert wie um die seiner ehelichen Söhne und Töchter. Insbesondere sorgte er dafür, dass alle seine Kinder eine Ausbildung erhielten, die ihnen den Weg in ein gesichertes Leben ebnete.

Tile Kolup hingegen scheint vor seiner "Karriere" als Friedrich II ein einfacher kleiner Bürger gewesen zu sein, nirgends groß in Erscheinung getreten. Einige behaupteten sogar, er sei die letzten Jahre vor seiner Zeit in Köln und Neuss als Bettler durch die Lande gezogen.

Wahrscheinlich war Tile Kolup einfach ein Mensch, der so beseelt war vor der Vorstellung, ein bedeutender Mensch zu sein, dass er alles über Adel und Fürsten seiner Zeit in sich aufgesogen und sich ausgemalt hat, dazu zu gehören. Und wenn schon, dann nicht als relativ unbedeutender Territorialfürst, sondern dann als der Mächtigste von allen, der Kaiser. Dabei verwischten die Grenzen zwischen seinen Phantasien und der Wirklichkeit immer mehr, bis er schließlich vollständig in seiner Rolle aufging. Und überzeugend muß er ja gewesen sein, wie hätte er sonst sein Spiel über ein Jahr lang erfolgreich fortführen und sogar immer mehr deutsche Fürsten für sich einnehmen können? Und wer weiß, wie lange es noch so weiter gegangen wäre, hätte er sich nicht zuletzt mit Erzbischof und König angelegt.


9. 7. 2003
Petra Hannebauer



Quelle: Gustav Radbruch / Heinrich Gwinner "Geschichte des Verbrechens"
K. F. Koehler Verlag Stuttgart, 1951